Jan Pfaff   


Journalist

     




Auf der Spur der Täter



Viele Deutsche wollen wissen, welche Verbrechen Familienangehörige während des Nationalsozialismus in der Ukraine begangen haben. Ein Historiker hilft dabei


wochentaz, 18.02.2023







Für seine Kunden fertigt Johannes Spohr oft historische Karten an, aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs. Er trägt Städte und kleinere Orte ein, dazu einzelne Kriegsereignisse und Routen, die Wehrmachtseinheiten oder Einsatzgruppen genommen haben. In den ersten Wochen nach Russlands Überfall auf die Ukraine sei ihm das aber schwer gefallen, erzählt er in einem Eckcafé in Berlin-Neukölln. „Die ersten zwei Monate habe ich kaum an meinen Aufträgen arbeiten können.“

Viele der Städte und Dörfer, die Johannes Spohr in die Karten eintrug, tauchten plötzlich Tag für Tag in den Nachrichten auf. Wo Wehrmachtssoldaten und SS-Männer vor 80 Jahren abgründige Verbrechen begangen hatten, herrschte jetzt wieder Krieg, wurde wieder getötet, gefoltert, geplündert, vergewaltigt.

Johannes Spohr ist Historiker, er bietet einen besonderen Service an. Wer wissen möchte, was seine Großeltern oder Urgroßeltern in der Zeit des Nationalsozialismus gemacht haben, wie sehr die eigenen Vorfahren womöglich in Verbrechen verstrickt waren, kann ihn mit der Suche in Archiven beauftragen. Er durchforstet dann Wehrmachtsakten, Einsatzpläne, Kriegstagebücher, Parteiunterlagen, Entnazifizierungsprotokolle.

Spohr, 40 Jahre alt, spricht vorsichtig, abwägend. Oft macht er eine kurze Pause, bevor er antwortet. Er trägt Sneakers und im linken Ohr einen silbernen Ring. Als Ausgangspunkt brauche er Namen und Geburtsdatum der Angehörigen, sagt er. Aber auch alle weiteren Unterlagen aus der Zeit würden helfen.


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