Jan Pfaff   


Journalist

     




Läuft ohne Moskau



Lange war Litauen vollkommen abhängig von Gas aus Russland. Doch ein schwer bewachtes Schiff im Hafen der Stadt Klaipėda änderte das


taz am wochenende, 27.06.2022







Wenn man Linas Kilda fragt, wann Litauen unabhängig wurde, nennt er zwei Jahreszahlen. 1991 erlangte die ehemalige Sowjetrepublik gegen harten Widerstand Moskaus ihre Selbstständigkeit. „Wir waren danach zwar politisch unabhängig, aber nicht was die Energie betraf“, sagt Kilda. Der junge Staat hing beim Gas an den Pipelines aus Russland, es gab keine anderen Lieferwege.

Der zweite Einschnitt für Kilda ist 2014. Damals nahm die „Independence“ im Ostseehafen Klaipėda ihre Arbeit auf, ein fast 300 Meter langes Schiff, das ein schwimmender Flüssiggasterminal ist. Mit Tankern geliefertes, tiefgekühltes Flüssiggas wird in ihrem Bauch wieder in Gasform verwandelt.

Lange gab es Zweifel, ob die Independence überdimensioniert sei. Flüssiggas galt als teuer, der Prozess als zu aufwendig, die Kapazitäten des Terminals waren oft nur zur Hälfte ausgelastet. Seit Russlands Überfall auf die Ukraine hat sich das schlagartig geändert. Das Schiff ist der Grund, warum Litauen mit seinen 2,8 Millionen Einwohnern Anfang April verkünden konnte, überhaupt kein Gas mehr von Russland zu beziehen. Als erstes EU-Land, das zuvor russischer Gaskunde gewesen war.

Linas Kilda ist gelernter Ingenieur, mittlerweile aber Manager. Seit 2013 arbeitet er für die halbstaatliche Betreiberfirma des Terminals, die selbst kein Flüssiggas kauft, sondern Energieunternehmen die Umwandlung anbietet. Kilda ist ein Mann, der viel lächelt. In einem blauen Anzug steht er an Deck eines kleinen Hochseeboots, das durch den Hafen von Klaipėda tuckert und sich in 20 Meter Abstand langsam an der Independence vorbeischiebt.

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