Jan Pfaff   


Journalist

     




"Wichtig ist, ruhig zu bleiben"



Rüdiger von Fritsch wurde 2014 deutscher Botschafter in Russland. Ein Gespräch über die Kunst der Diplomatie und Zeichnungen in Putins Notizblock


taz am wochenende, 18.10.2022







taz am wochenende: Herr von Fritsch, wenn dieses Gespräch ein Treffen zwischen zwei Diplomaten wäre, wie würden wir anfangen? Mit Smalltalk?

Rüdiger von Fritsch: Wenn ich als deutscher Botschafter meinen französischen Kollegen treffe, ist das ein anderes Gespräch, als wenn ich zu Zeiten der Krim-Annexion den Abteilungsleiter im russischen Außenministerium spreche. Innerhalb der Europäischen Union gibt es eine große Offenheit. Mit dem französischen Kollegen klopft man gleich ab, wo decken sich unsere unterschiedlichen Interessen, wo nicht. Gleichzeitig habe ich – jetzt das Jahr 2014 als Beispiel – im Hinterkopf, dass Frankreich Russland ganz gern noch zwei Flugzeugträger verkauft hätte. Das gehört dazu, das zu wissen.

Und wie ist das mit Ihren russischen Kollegen?

Professionell und natürlich vielfach auch menschlich habe ich meine russischen Kollegen immer sehr geschätzt. Was sie auszeichnete: Sie waren immer exzellent vorbereitet. Wenn Sie da selbst nicht die Themen bis in die kleinsten Details kennen, werden Sie schnell vorgeführt. Atmosphärisches ist aber auch wichtig. Der außenpolitische Berater von Wladimir Putin, der extrem wenig Zeit hat, hat mich zunächst immer gefragt: Wie geht es Ihnen? Ist Ihre Arbeit in Moskau schwer? Dann ist man aber schnell bei hochkontroversen Fragen. Sie können in solchen Gesprächen Dinge sagen, die sie öffentlich nie wiederholen würden. Das muss auch möglich sein. Sie sagen da nicht „Sie lügen gerade“, aber wenn sie aufzeigen, wie die Wahrheit von Ihrem Gegenüber ständig verdreht wird, ist schon klar, was Sie meinen.

Höflichkeit ist in der Diplomatie aber nach wie vor wichtig?

Sehr wichtig. Weil Sie sich offenhalten müssen, noch weiterzugehen. Wenn Sie von vornherein draufhauen, haben Sie schnell Ihr Pulver verschossen. Also antworten Sie, wenn Sie einen absurden Vorschlag bekommen: „Ich werde das gern nach Berlin weitergeben“, fügen aber hinzu: „Gestatten Sie mir eine persönliche Einschätzung. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man davon sehr begeistert sein wird.“

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